Wohnwelt

Die Inventare gesammelter Erinnerungen liefern Rita Kanne das Material für ihre skulpturalen Arbeiten. Aus dem kollektiven Bilderfundus der Unterhaltungsfilme, Familienfotos, Urlaubsandenken und Reiseführer greift sie Motive heraus, die Schnittpunkte markieren zwischen einzigartigem Erleben und Klischee. Sie vervielfältigt die Bildhülsen in gängigen Kopier- und Abgussverfahren, um daraus ornamentale Strukturen zu entwickeln. Mit den gewonnenen Mustern tapeziert und bestückt sie dann Möbel, Umzugskartons, Luftmatratzen oder ganze Räume und appliziert so die mentalen Versatzstücke gelebten Lebens auf dessen reale Orte. In einer Durchdringung austauschbarer biografischer Relikte und technischer Reproduktion entstehen skurrile Interieurs des Gewöhnlichen–Räume, bedrückend angefüllt bzw. überfüllt mit dem Inventar des Allzuvertrauten. Für die Ausstellung „patterns of life“ hat die Künstlerin ein Doppelbett mit integrierten Nachtkonsolen tapeziert. Sie markiert mit 36 Umzugskartons, auf denen das Möbelensemble steht, den Raum seiner ehemaligen Aufstellung, das Schlafzimmer. Kleinteilige, farbige Rauten in der Art perspektivisch angelegter Mosaikfußböden umrahmen in steter Wiederholung abwechselnd zwei Frauenporträts und einen im Auto sitzenden Mann. Wie ein Ufo scheint das intarsienhaft gemusterte Möbel auf den dicht zusammenstehenden Kisten gelandet zu sein. „Hier offen“ und „20 kg sind genug“ ist in fetten Buchstaben auf den geöffneten Kartondeckeln zu lesen. Auf dem Grund der braunen Pappkisten breitet sich eine idyllische Berg- und Seenlandschaft aus wie der abgesunkene Bodensatz vergangenen Lebensglücks. Das Schlafzimmer als räumlicher Speicher von Vorstellungen und Gefühlen samt Fototapete scheint zusammengefaltet und in den Kartons verstaut zum Abtransport bereit zu stehen. Das parzellierte Sehnsuchtspanorama vom Kopfende des Bettes taugt dabei gerade noch zum Auslegepapier, während der Traum, auf Wolken zu schweben, längst eingeholt ist von den Vorbereitungen einer Haushaltsauflösung. Doch erweist sich dieser Traum als zu sperrig für die standardisierten Stapelboxen – also wird er kurzerhand auf ihnen abgestellt.

Gudrun Bott, Heiderose Langer: patterns of life, 2001

Rita Kanne